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24.03.2021

Noch lange nicht müde

Seit 50 Jahren ist Milos Janecek in der Turnabteilung beschäftigt. Aus dem Oeder Weg ist der ehemalige Kunstturner nicht mehr wegzudenken. Ans Aufhören denkt er zum Glück aber noch lange nicht.

„Wenn mir damals irgendjemand gesagt hätte, du bleibst da 50 Jahre, den hätte ich für bekloppt gehalten“, sagt Milos Janecek und lacht. Er lehnt an einem Sprungkasten in der leeren Turnhalle im Oeder Weg. Seit 1971 ist diese seine Wirkungsstätte und sein Zuhause gleichermaßen, aktuell steht der Turnbetrieb aber wie die meisten anderen Sportarten aufgrund der Corona-Pandemie still. „Man muss nach vorne sehen“, sagt er. Er rufe viele Bekannte an und versuche, eine positive und lustige Einstellung zum Leben zu vermitteln. Dennoch ist dem 74-Jährigen anzumerken, dass auch ihm das rege Treiben in der Turnhalle fehlt.

Milos Janecek steht wie kein Zweiter für die Turnabteilung der Frankfurter Eintracht. „Papa Milos“ nennen ihn die Kinder, deren Eltern und Großeltern er ebenfalls schon das Turnen lehrte. Die Eintracht nimmt nach wie vor eine bedeutende Rolle in seinem Leben ein: „Meine Frau sagt immer: Erst kommt die Eintracht, dann kommen deine Turner, dann kommen unsere Enkelkinder und dann komme ich“, schmunzelt der ehemalige Kunstturner.

Viele Erinnerungen, ein Verein

Begonnen hat seine Karriere in der ehemaligen Tschechoslowakei, wo er im Jugendnationalkader turnte, bis er sich verletzte. „Wenn du einmal verletzt bist, ist das Interesse schnell nicht mehr da“, erzählt er. Mit dem Leistungsturnen war es dann vorbei. 1968 floh Milos, erst nach Schweden, dann in die Schweiz und schließlich nach Deutschland, wo der Kunstturner Alfred Zellekens ihn zur Eintracht holte. Seitdem ist der Verein eine feste Konstante in seinem Leben. „Wenn man auf so schwerem Weg etwas erreicht, dann hält man das fest“, sagt er mit voller Überzeugung. „Ich halte an der Eintracht fest. Das ist meine Heimat.“ Die Turngemeinde beschreibt er als eine große Familie. Nicht selten werde er erkannt, wenn er durch das Frankfurter Nordend laufe. Auf ein schönstes Erlebnis möchte sich Milos nach all der Zeit bei der Eintracht aber nicht festlegen. Am besten sei es, wenn er es schaffe, den Kindern etwas mitzugeben. „Wenn sie nach Jahren wiederkommen und sich daran erinnern. Wenn sie zu mir kommen und sagen: ‚Guck mal, Milos, das haben wir gemacht, das war eine schöne Zeit‘.“

Geprägt wurde Milos auch von seinem Engagement als Turnlehrer von Kindern mit Behinderung. „Ich kam vom Leistungsturnen, wo alles nur perfekt sein musste“, erzählt er. „Dass es Leute gibt, die behindert sind oder psychische Probleme haben, das habe ich nie erlebt.“ Bis er nebenbei in einer Einrichtung anfing zu arbeiten. Dreimal wöchentlich trainierte er dort Kinder – 25 Jahre lang, bis er 2011 in Rente ging. Und das, obwohl der gelernte Autoschlosser keine spezielle Ausbildung im Umgang mit Menschen mit Behinderung hatte. „Ich habe einen Draht zu ihnen bekommen.“ Das macht ihn bis heute sichtlich stolz. Dass er an alter Wirkungsstätte seine Fußspuren hinterlassen hat, habe der 74-Jährige bemerkt, als er nochmal dort vorbeigekommen sei. „Die Leute haben gefragt: ‚Milos, wann ist deine Rente zu Ende, wann kommst du wieder?‘“ Das zeige ihm, dass er die Leute erreicht und Erinnerungen hinterlassen habe.

Nicht immer alles richtig gemacht

Doch Milos blickt auch kritisch auf seine Zeit als Turnlehrer zurück. „Ich kann nicht sagen, dass ich alles richtig gemacht habe. Als junger Mann hast du mehr Ehrgeiz mit den Kindern, manchmal wollte ich ein bisschen mehr und habe dementsprechend Druck gemacht.“ Der Spaß und die körperliche Gesundheit standen dennoch stets im Vordergrund – auch weil der ehemalige Kunstturner selbst erfahren musste, was passiert, wenn man über seine Grenzen geht: „Ich habe das in der Tschechei selbst erlebt. Viele sagen, du musst bestimmte Übungen machen, auch wenn man selbst vielleicht nicht das Gefühl dafür hatte. Dann hat man es trotzdem gemacht und sich dabei verletzt. Deshalb habe ich immer gesagt: ‚Mach das, worin du sicher bist! Achte darauf, dass du gesund bist!‘“

Alle sagen immer, ‚Milos, du wirst alt, aber du bist immer noch so verrückt wie früher'.

Milos Janecek

Für Kinder und Verein war „Papa Milos“ allerdings stets mehr als nur Trainer. Als langjähriger Organisator des Weihnachtsmärchens sorgt er jedes Jahr aufs Neue für eine spektakuläre Vorführung, die Jung und Alt gleichermaßen begeistert. „Bis zum vorletzten Jahr hat das super geklappt. Sabine hat noch mitgespielt, ebenso Martin [Sabine Urban ist zuständig für das Abteilungsmanagement und Martin Schönhoff ist Abteilungsleiter Turnen; Anm. d. Red.] – allen Turnern, die ich hatte, habe ich eine Rolle gegeben.“

Doch an Weihnachtsmärchen war im letzten Jahr nicht zu denken. Aktuell verbringt der 74-Jährige viel Zeit in seinem Ferienhaus im Vogelsberg. Bevor die Corona-Pandemie den Turnsport zum Erliegen brachte, war er aber immer noch jeden Dienstag im Oeder Weg, um die Kinder zu trainieren. Obgleich „Papa Milos“ gerne auf die schönen Erfahrungen bei der Eintracht zurückblickt, wird er dabei nicht nostalgisch: „Meine Einstellung zum Leben ist, nur nach vorne zu schauen.“ So denkt er auch nach einem halben Jahrhundert als Adlerträger immer noch nicht ans Aufhören. „Alle sagen immer, ‚Milos, du wirst alt, aber du bist immer noch so verrückt wie früher‘“, lacht er und fährt fort: „Der Linie, die ich damals angefangen habe, bin ich treu geblieben.“ Das wünsche er sich auch für seine Kinder und Enkelkinder. Diese müssten zwar selbstverständlich keine Weltmeister werden, Milos fände es aber trotzdem schön, wenn auch sie „diese Schiene weiterfahren und ihr treu bleiben“.